Saisonalität. Das ist mittlerweile fast unisono ein Lippenkenntnis der kochenden Zunft. Doch wenige erfüllen diesen Begriff so liebevoll, so empathisch, so akribisch und voller Entdeckerleidenschaft wie das Etz. Sein Narrativ der sieben gastronomischen Jahreszeiten mit entsprechenden Menus ist mehr als eine Produktkunde. Es ist eine emotionale Botschaft der Achtsamkeit, ja der Freude angesichts der wechselnden Schätze und Aromen der Natur. ETZ – JETZT! Der Dialektname ist ein Plädoyer, am kulinarischen Rhythmus des Erntejahres teilzuhaben und ihn bewußt zu genießen.

Der Besuch im Stadtteil St. Johannis beginnt fast verschwörerisch in einem Hinterhof der Kirschgartenstrasse, wo sinnigerweise aus dem Samowar Kräutertee mit Kirschkonzentrat ausgeschenkt wird. Dann geht es mit einem Koch ins Laboratorium. Eine kulinarische Wunderkammer mit Garagenatmosphäre, eine Geschmacksmanufaktur, in der ausgefallenste Ingredienzien entstehen. In Bottichen und Holzfässern fermentieren fränkische Erbsen oder Einkornbrei – was in Japan als Shoyu, Miso oder Tamari für die typischen Umami-Geschmacksnoten sorgt, geht auch mit Grundstoffen vom mittelfränkischen Bauern! Über ein Jahr gereiftes Garum von Stören oder Karpfen wird man vergebens im Delikatessenhandel suchen. Die steinhart getrocknete Leber vom Mangaliza-Schwein, die noch zum Einsatz kommen wird, auch.

Szenenwechsel ins Restaurant, das mit seinen moosgrün gestrichenen Wänden, den großzügigen Tischabständen, der stilsicheren Lichtregie luftige innenarchitektonische Behaglichkeit ausstrahlt. Ein zentraler Baustein der Menuinszenierung ist die weitgehend offene Küche. Großes Theater: Statt eines altmodischen Passes mit Durchreiche ist zentral ein messingfarben schillerndes Board postiert, um dass sich die Equipe versammelt, um die aus der Küche gereichten Zutaten aufzuschneiden und auf Keramikgeschirr zu arrangieren.

Schon die erste Idee ist ein Statement für moderne Heimatküche: virtuos konzentrierte Pilz- und Wildbouillon mit schillernden Augen von Tannennadelöl. Folgt eine Homage ans Knoblauchsland, die Gärtner- und Gemüsebauernregion im nördlichen Nürnberger Umland. Die knusprige Champignon Hefeteigpraline ist mit Paste vom schwarzen Knoblauch gefüllt, mit Schuppen vom grünen frittierten bedeckt und läßt an eine aparte Regionalvariante einer Frühlingsrolle denken.

Omnivore Freunde der chinesischen Küche stöhnen lustvoll auf beim butterweichen mit Zuckerrübenmelasse eingepinselten Schweinebauch. Daß das Schnittchen vom fränkischen Mangaliza Wollschwein gepökelt ist, gibt der Speise den heimischen Kick. Auch der nächste Akt spielt mit altfränkischen Klischees. Die dekonstruierte Schlachtplatte ist mehr als nur ein Gag. Im Zusammenspiel von milchsäurevergorenem Blaukrautsaft, geschmacksintensiver Pellkartoffel und Spänen von getrockneter Schweineleber ergibt sich tatsächlich das vertraute Aromenspiel, nur unendlich leichter.

Überrschend üppig nimmt sich dagegen die Brotzeit aus. Zum selbstangesetzten Sauerteigbrot, das in der Sterneliga ebenso ein Must zu sein scheint wie lang gereifte Rohmilchbutter, wird Rinderschinken, Zwetschgenbames vom Brillenschaf und lardo-artig schmelzende Mangaliza-Backe gereicht. Kleine saure Köstlichkeiten wie gepickelte Stachelbeeren bieten der Fleischattacke Paroli.

Zeit für einen vegetarischen Kontrast. Unter dem schönen Namen Winterlager wird schwarzer Rettich durchdekliniert. „Rübig herb hefig“, um die Servierdame zu zitieren:

Goldgelb geschmort, in Röllchen drapiert, hauchdünn geraspelt – das ganze auf einem Spiegel von Buttermilch und Schnittlauchöl. Daß das Etz Japan den Dialog mit Japan auf Augenhöhe weiterdenkt, beweist die Trilogie von der kapitalen Seeforelle. Beim Filetieren der mächtigen Süßwasserfische hat die Küche eigens die fettgemaserten Bauchstreifen heraus präpariert –  die milde Delikatesse Toro-Bauch vom Thunfisch findet ihr deutsches Pendant!

Beim scharf angebratenen Zuckerhut ist die seltene, trotz ihres Namens angenehm bittere Salatsorte klarer Protagonist – und Kaviar, Molke und Quittenmiso Beiwerk. Mischen Sie beherzt durch, rät der Service, Dogmata der additiven Probierküche hinterfragend. Das gilt auch für den Auftritt des Grünkohls. Frittiert, sautiert, mariniert auf fermentiertem Tomatenrahm, eröffnet er frische Texturhorizonte für das gewöhnlich zerkochte Wintergemüse.

Pièce de resistance pur: eine perfekt gegarte Scheibe abgehangenes Reh aus dem Rohr. Dazu drei Tupfer und sonst nichts. Orange leuchtende Vogelbeeren, eine Paste aus fermentierten Birnen und eine Beeren Kräuter-Würzmischung, die das Geheimnis des Hauses bleibt. Ruhe und Reife, um das Motto der 7. Jahreszeit zu zitieren.

Auch die letzten Pirouetten verblüffen. Ein bitterer Apfelsalat leitet über zum Staundessert. Zuckerwatte von der Zuckerrübe bekrönt Eiscreme aus eingemachten Himbeeren.

Zum Abschied gibt es noch ein mutiges Fasnachtszitat: ein knuspriger, da in Butterschmalz herausgebackener Krapfen, der in konzentriertes Hiffenmark getunkt wird. Dazu ein italienisch dichter Espresso mit selbstgemachtem dunkelbraunem Muscovado-Zucker – aus fränkischer Zuckerrübe natürlich, damit noch einmal eine Ackerfrucht veredelnd, die wir normalerweise nur als industrielles Grundprodukt wahrnehmen.

Fünf Stunden, die Zeit einer Wagneroper, sind vergangen, ohne daß der kulinarische Spannungsbogen abgeflacht wäre. Das liegt auch am hohen Kenntnisstand und Konversationsgeschick des Personals – teilweise bringen Jungköchinnen und ihre männlichen Kollegen wie im Noma in Kopenhagen die Teller samt engagierter Erklärung direkt an den Tisch. Ein besonderes Kompliment für das emotionale und rhetorische Geschick, Weinberatung als persönliche Plauderei zu gestalten. Erwähnt sei, daß die akoholfreie Begleitung nicht aus den handelsüblichen Edelsäften besteht – die Macher vom Etz haben sich ambitioniertere Cocktails einfallen lassen: Lorbeermolke, Champagnerrenette mit Wacholderessig oder ein fruchtiger Zuckerrübenkefir.

Und natürlich an der wohldurchdachten Experimentierfreudigkeit, die eine überquellende Fülle an Ideen und Kombinationen überzeugend auf den Teller bringt. Das reicht bis zum Besteck. Die elegant polierten Stäbchen sowie das Buttermeser sind aus heimischem fränkischem Obstbaumholz geschnitzt.

 

ETZ

Wiesentalstr. 40
Nürnberg
0911 47712809
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