Ein Trend? Spitzenköche machen sich selbständig. Machen Ihren Namen zur Botschaft. Diesen mutigen Schritt ist auch der Chef gegangen, der ab 2017 Drei Sterne für das Nobelhotel Bayerischer Hof erkochte. Jan, so heißt knapp und bündig Jan Hartwigs Restaurant, ganz in der Nähe von Königsplatz und Lenbachvilla.

Ähnlich minimalistisch wie der Name, aufs Wesentliche konzentriert die skandinavische Einrichtung. Innenarchitektonischer Blickfang ist die Sichtachse in die offene Küche, über deren Herd ein silbern glänzendes Michelin-Männchen thront.

Die Bibendum-Figur ist eine Ansage. Denn das 13-gängige Menu (295 €) spiegelt den kreativen Dialog auf Augenhöhe wider, den Jan Hartwig mit der französischen Haute Cuisine führt. Das signalisiert schon der erste Gang: Foie Gras au Chantilly mit Armagnac-Rosinen wird zum trüffelartigen Praliné im Pekannussflockenpelz stilisiert – süßsaure Balsamico- Noten umschmeicheln die sahnige Edelinnerei. Die Papiermanschette, die wir aus der Pralinenschachtel kennen, ist durch eine hauchdünne diaphane Knusperrosette ersetzt – zartester Crunch ist eins der kulinarischen Leitmotive Jan Hartwigs.

Pâtisserie-Präzision auch bei den nächsten Verkostungen: die orange glänzende Kugel aus Spitzpaprikamousse auf Limonenbaisersockel löst beim Hineinbeißen ein langdauerndes Aromenspiel von sanftem Pecorino bis zum perfekt eingebundenen Basilikum-Abgang aus. Wie in Paris oder Lyon gilt hier in München: Mit Essen spielt man, und zwar gerade deswegen, weil man es aufs höchste respektiert und es deswegen auch ästhetisch würdigt. Vielschichtigkeit in der Tektonik der Zutaten verheißt Gaumenreisen auf knappem Teller: Ein Gag wie das milde, im zerbrochenen Porzellanei servierte Wachtelei mit frittierter Hühnerhaut verblüfft durch den finalen Salzstoß der geräuchertem Spinatcreme, die grün auf dem Grund der Mandel-Parmesan-Mousseline schillert.

Noch einmal zarte Edelsalztöne im Dialog mit Japan. Hausselektionierter Kaviar türmt sich auf einem Bett von puddingartigem Chawanmushi. Der mit Fischflocken angereicherte Eierstich mit seinem umami-Aromenspiel, dazu Piemont-Haselnüsse mit prallen „rehydrierten“ Rumrosinen und der Tropfen Lauchöl aus Kyoto ergeben eine geheimnisvoll schillernde, ins Süße spielende Hülle für die salzig im Mund platzenden Störeier – eine ungewöhnliche Kombination, ein genialer Gang!

Daß bei all diesen Verfeinerungen auch ein wacher Blick auf regionale Tendenzen geworfen wird, belegt der elsässisch eingefärbte Einsatz des modischen Sauerteigbrotes, das klugerweise in der Mitte des Menus zum Einsatz kommt und so nicht den Appetit ruiniert. Daß dazu ein Jungkoch eine Anekdote über unter fast schon verschwörerischen Bedingungen aus der Normandie herangeschaffte Rohmilchbutter zum Besten gibt, ist ein auflockernder Regieeinfall. Ausgefallener mundet der Alternativ-Aufstrich: Steckrübenfrischkäse mit Liebstöckel vereingt stilecht bäuerliche Cucina povera mit bäuerlichem Krustenbrot.

Die Bayerische Forelle zeigt, wie Jan Hartwig mit Tiefenschichtungen schlichter Zutaten zaubert: Molke, Minilinsen, Rapsöl, Champignon, der als Carpacciorad daherkommt, das eine konzentrierte Pilzcreme verdeckt – eine Geschmacksreise en miniature, bis man als Höhepunkt in das milde Süßwasserfischfilet beißt.

Selten habe ich ein ästhetisch so elegantes Gericht genossen, wie die rechteckig parierte Felsenrotbarbe, die mit einer weißen Joghurthülle glaciert ist, auf der Streifen von grüner Plankton- und schwarzer Fermentknoblauchemulsion schillern. Ein geschmeideartiges Tellerkunstwerk, das mit der optischen Nähe zu milchigem und buntem Muranoglas kokettiert. Auch hier ist das Pièce de resistance ummantelt, surprise gelungen!

Das Jan trumpft noch einmal mit Juweliersideen auf. Die mit Topinambur-Mash überkrustete Wachtelsuprême ist mit Amanthpuff übersät, so daß sie wie ein perlenbesticktes Kissen aussieht. Dazu eine klassische Anleihe aus der Geflügelküche der grande nation: mit Vin jaune aus dem Jura fortifizierte Sauce. Eine schokotrüffelartig glänzende Wachtelleberkugel steht für die Idee, ein Produkt in Variationen zu servieren.

Zum Käseteller fällt der Sternegastronomie meist nichts ein, als einen Trolley mit französisch geprägter Auswahl an den Tisch zu schicken – verlockend aber meist zu üppig am Ende eines Gourmet-Menus. Nicht so Jan Hartwig, der kühn auf Allgäuer Identität setzt. Er reicht schmale Streifen von nur einem Käse, der so serviert optisch an Morbier erinnert. Der langgereifte „Herr Direktor“ von den Kemptener Affineuren Jamei Leibspeis wird baumkuchenartig durchzogen von aschefarbenen Streifen aus orientalischer Dörrzitrone und goldgelben aus Weißbiergelee. Dazu ein paar Tropfen Hochgebirgshonig – Hommage an die immer trendiger werdende cuisine alpine.

Auch das Dessert vermeidet die beliebte Unsitte, Obst, Kuchen, Creme, Teig und Eis gleichzeitig auf einen Schlemmerteller zu türmen. Ein scheinbar angebissenes Edelschokoladetörtchen läßt an der Ausbuchtung gerade Platz für ein kontrastierendes Passionsfruchtmus.

Geometrisierung, Ästhetisierung, farbliche Verfremdung, kostbare Verhüllung und damit Inszenierung des pièce de resistance – bei Jan Hartwig ist das nicht nur verspielte art pour l’art. Seine Pinzettenarbeit schickt die Papillen auf eine Aromenreise mit langnachklingendem Abgang. „Die Wissenschaft des Kochs besteht darin … nahrhafte und doch leichte Saucen zu ziehen, und so zu mischen und zu mengen, dass nichts dominiert und alles erschmeckt werden kann.“ Diese Maxime, 1739 von François Marin, dem Theoretiker der Aufklärungsküche formuliert, wird im Jan virtuos umgersetzt.

Wer Spitzenküche zu schätzen weiß, kommt hier auf seine Kosten. Da beschränkt sich einer nicht auf modische 3-Zutaten-Rezepte, sondern läßt lieber auf einer 6-händigen Partitur spielen, bei der jede einzelne Geschmacksnote sinnvoll und überzeugend für die Gesamtkomposition eingesetzt wird. „Ich kenne selbstverständlich alle Trends, aber ob und inwieweit ich sie befolge, ist meine ganz persönliche Entscheidung.“ Diese Haltung des Modezaren Karl Lagerfeld gilt auch für den Stil Jan Hartwigs, der Tendenzen der Gegenwart souverän in seine Menuregie integriert, ohne dadurch sein klassisches Konzept einer artifiziellen Hochküche, in der Ästhetik und Geschmack perfekte Harmonie anstreben, aus den Augen zu lassen.

JAN
Luisenstr. 27
80333 München
Tel. 089 723708658
www.jan-hartwig.com