Bittere Nachricht. In der bayerischen Metropole, in der geschätzte 80.000 Bürger mit sowjetischem Migrationshintergrund leben und in der man sich durch die Küchen des halben Globus schlemmen kann, gibt es kein russisches Restaurant mehr. Kulinarische Fehlanzeige für das größte Land der Welt. Die Suchmaschinen spucken längst geschlossene Etablissements aus, doch weder geistreiche Namen wie Malachit noch unoriginelle wie Puschkin scheinen ihnen nachhaltigen Erfolg beschert zu haben.

Dann, denke ich mir, probieren wir halt Lebensmittelgeschäfte durch. Ich beginne mit dem Kolumbus beim Goetheplatz. Typischer gesprächsintensiver Tante-Emma-Laden, der das Bedürfnis nach Nestwärme befriedigt und auch russische DVDs verkauft. In den Kühlschränken eingeschweißte Bücklinge, Ikra-Dosen und Starij-Melnik-Bier neben Augustiner-Flaschen. Ich erwerbe mit Rindfleisch gefüllte Pelmeni made in Germany (ohne Konservierungstoffe!), dazu ebenfalls deutschen smetana-Schmand, köstliche Buchweizenflocken aus dem Altai-Gebirge und eine edel verpackte Tafel Bitterschokolade der 1804 gegründeten Moskauer Traditionsmarke Babajewskij. Und erfahre, daß der Ladeninhaber Ukrainer ist – zumindest im Lebensmittelhandel scheint die Völkerfreundschaft der ehemaligen Sowjetrepubliken noch zu funktionieren.

Die Tolstoj-Bibliothek empfiehlt mir das Prima, einen gutfrequentierten Supermarkt in der Vorstadt Berg am Laim. Vor dem Eingang stapeln sich Säcke voller Zwiebeln, Gemüsekisten mit Weisskohl und Melonen, die von Kunden kennerhaft abgeklopft werden. Die authentische slawische Marktatmosphäre wirkt auf mich wie ein Urlaubstripp in der eigenen Stadt. Ein Imbiss, geziert mit der Karikatur eines kaukasischen Grillspezialisten, kriegt hin, was all die türkischen Dönerstände hierzulande scheinbar nicht schaffen: echtes Schaschlik aus Lamm! Und innen gibts nicht nur Dosen, Gläser und in Plastik verschweißte Ware sondern auch eine Frischetheke. Ich mache den food scout, durchwandere die Regale und entdecke Etiketten mit leichtbeschürzten Moldawierinnen, die mit nackten Füßen Trauben stampfen, scharfen polnischen Senf „auf russische Art“, armenischen Cognac mit dem einprägsamen Namen Kalashnikow, bulgarische Sonnenblumenkerne, aserbeidschanischen Granatapfelsirup und geräucherte Pferderippe: in diesem Parallelkosmos ist der Warschauer Pakt kulinarisch lebendig geblieben. Vergeblich frage ich nach Speiseeis mit sibirischen Zedernüssen. Dafür ergattere ich ein Glas mit georgischen Pimpernusskapern (jonjoli), scharfe kaukasische Pflaumensauce und ein Päckchen tworog (wovon das deutsche Wort Quark abgeleitet ist), der ungefähr österreichischem Bröseltopfen entspricht. Die schlichteste Entdeckung wartet versteckt in einer Ecke vor der Kasse. Dunkles frischgebackenes Borodino-Roggenbrot – der patriotische Name, der an Napoleons gescheiterten Russlandfeldzug erinnert, soll erst 1933 geprägt worden sein. Malzig. Krustig. Köstlich. Russisch. Auch für Kenner deutscher Vollkornbrote eine geschmackliche Offenbarung und eine willkommene Abwechslung zu unserem Ciabatta-Alltag.

Dritter Besuch: der Lebensmittelmarkt Eximas Russische Märchen-Spezialitäten liegt an einer befahrenen Ausfallsstraße beim Westpark und funktioniert auch als Paketversendestation. „Postmeister“ Josef Schoch ist Kasachstan-Deutscher, Fachmann für Wodka (am besten pur!) und ein kundiger und freundlicher Erklärer seines reichen Sortiments. Der Weg in die Außenbezirke wird mit selbstgebackenen Piroggen belohnt, die Damen aus Russland und Belarus in der kleinen Küche zaubern. Gefüllt mit süßem Kraut oder Fisch mit Dill, sind sie eine authentische Delikatesse, die sage und schreibe nur 1 € kostet. Kein Wunder, daß Münchens elitärer Feinkosttempel Dallmayr diese „märchenhaft“ wohlschmeckenden Teigtaschen für seine Gourmet-Kundschaft ordert. Jetzt hoffe ich nur noch, daß ich irgendwann mal einen Laden finde, wo heißer Tee aus dem Samowar kredenzt wird.

Nicht verschwiegen sei zum Schluss, daß es doch zwei Münchner Gaststätten gibt, die mit russischen Namen und humanen Botschaften punkten. Das bereits 1984 eröffnete Prinz Myshkin ist eins der angesehensten vegetarisch-veganen Restaurants Deutschlands. Es inspiriert sich an der friedvollen Lebensanschauung des Titelhelden von Dostojewskis Roman Der Idiot:

„Wissen Sie, ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorbeigehen kann ohne darüber glücklich zu sein, dass man ihn sieht. Wie man mit einem Menschen reden und nicht darüber glücklich sein kann, dass man ihn liebt. Oh, ich verstehe es nur nicht auszudrücken, aber viele schöne Dinge begegnen einem auf Schritt und Tritt.“ Die Speisekarte geht freilich bis auf Tofu Stroganoff nicht auf russische Küche ein.

In studentischen Kreisen populär ist die grün gestrichene Wodkatrinkstube Salon Irkutsk in Schwabing, gegründet von einem deutschen Ex-Banker, der zuvor die berühmtesten Bars der Welt bereist hatte. „Dass wir uns für die Namensgebung ausgerechnet eine Stadt in Russland ausgesucht haben ist eigentlich zweitrangig … entscheidend ist für was sie steht.“ Inspirationsquelle war laut Homepage der Dekabristen-Aufstand von 1825 und die Verbannung junger Adliger und der Intelligentzija nach Irkutsk, wo im „Paris des Ostens“ ein solidarisches gast- und kulturfreundliches Klima aufblühte. Kulinarisch bleibt der „franko-slawophile“ Salon beim Ethno-Thema und betreibt einen Pelmeni-Express, der auch Borschtsch und süße Wareniki mit Sauerkirschen serviert.

Fazit jedenfalls für München: Pseudo-zaristischer Prunk oder Don-Kosaken-Folklore zieht gastronomisch nicht mehr. Für den Kaviar-Luxussektor vertraut das Publikum lieber Feinkosttempeln wie Käfer. Dafür ist es nicht schwer, an russische Lebensmittel heranzukommen. Doch das Sortiment punktet selten mit spannenden bäuerlichen Nischenprodukten sondern eher mit verpackter lebensmittelindustrieller Ware, teilweise in Deutschland nach russischen Rezepten hergestellt und in neudeutscher Tradition mit Geschmacksverstärkern angereichert. Leider mangelt es oft an pfiffigen modernen Ideen, ansprechendem Verpackungsdesign, einladenden Schaufenstergestaltungen und Bio-Bewußtsein, um die nicht mit russischer Küche vertraute Mehrheitsgesellschaft dafür zu interessieren. Die dürfen ruhig auch von bayerischer Seite kommen. Schließlich werden auch einige der besten Italiener hierzulande von italienbegeisterten Einheimischen betrieben.

Adressen:

Kolumbus, Mozartstr. 3, 80336 München, Tel. 089 54444743, www.kolumbus-muenchen.de

Prima, Schlüsselbergstr. 13, 81673 München, Tel. 089 43519384

Eximas – Russische Märchenspezialitäten, Krüner Str. 75, 81373 München, Tel. 089 97390343

Prinz Myshkin, Hackenstr. 2, 80331 München, Tel. 089 265596, www.prinzmyshkin.com

Salon Irkutsk, Isabellastr. 4, 80798 München, Mob. 015259715418, www.salonirkutsk.com