Burano ist hübsch. Zu hübsch. Wer tagsüber durch die Spitzenklöpplerinneninsel mit den knatschbunt gestrichenen Fischerhäusern streift, muss selbst in diesen Zeiten permanent aufpassen, daß er nicht einem Touristenkollegen ins Fotomotiv latscht.

Um so mehr geniesse ich es, über die Holzbrücke hinüber auf die ländliche Nachbarinsel Mazzorbo zu spazieren. Eine bröckelnde Ziegelmauer umgibt den öffentlich zugänglichen Versuchsgarten des Design-Hotels Venissa. Lagoon gardening, das bedeutet im Schatten eines windschiefen Campanile Zwetschgen, Artischocken und Weintrauben zu ziehen, die zu einem sündteuren Weißen mit Blattgoldetikett gekeltert werden, der in der luftigen Osteria Venissa zu gemüseorientierter Spitzenküche ausgeschenkt wird. Sehr spannend!

Doch diesmal verlasse ich die ländliche Idylle durch eine schmale Pforte und bummle den Kanal entlang, der Mazzorbo von Mazzorbetto trennt. Kurz vor der Vaporetto-Anlegestelle liegt eine ockergelb gestrichene Trattoria. Davor eine Veranda, lange Tische, beschattet von Markisen und einer Rebenpergola. Alla Maddalena!

Ob Knatterbüchse Hemingway bei seinem zweiten Vendigaufenthalt 1954 hier gegessen hat? Im gleichen Jahr wurde jedenfalls die Maddalena eröffnet und als ihre Spezialität galt masorin – Lagunenente! Die gibts immer noch, als würziger Sugo zur Pasta. Doch vor ein paar Jahren hat sich Signora Raffaella in den verdienten Ruhestand begeben und das Gasthaus zwei Fischerfamilien aus Burano übertragen.

Und seither ist die Maddalena Anlaufpunkt für lokale Liebhaber der cucina lagunare.

Denn hier gibt es zum fairen Preis alles, was der neugierige Gaumen an lokalen Fisch- und Meeresfrüchten begehrt – soweit der Tagesfang es hergibt.

Als antipasti das mit Olivenöl und Zitronensaft abgeschmeckte zarte Krebsfleisch der granseola. Lagunenkrabben, die ähnlich wie Sardinen in saor angemacht sind, mit sauren Zwiebelchen und Rosinen. Moeche, soft shell crabs, die kurz frittiert und im ganzen samt dem zarten Panzer verschlungen werden. Canoce, die grauen Lagunenkrebse, deren süßliches Fleisch schon halb ausgelöst serviert wird. Oder capelonghe, in Knoblauch, Kräutern und Olivenöl geschmorte Messermuscheln mit frittierten Kürbisblüten.

Spaghetti vongole munden immer, aber es gibt Alternativen. Etwa pasta mit Garnelen und castraure, zarten Artischockenböden von Mazzorbetto. Oder der signature dish Buranos, frischgerührter risotto de gò: Grundelrisotto mit dem Fond der grätigen, aber aromatischen Fischchen. Eine arbeitsaufwendige Delikatesse der cucina povera.

Die vielen einheimischen Stammgäste ordern anschließend gern ein fritto misto: Sardinen, Tintenfische, Krabben, Kürbis, Zucchini und in  der Saison auch Spargel und Artischocken in purem Olivenöl herausgebacken. Ein piatto, zu dem der moussierende roséfarbene raboseto vorzüglich mundet. Eine seltene Spezialität ist gegrillter Lagunenaal oder rombo al forno, ein kiloschwerer Wildfang-Steinbutt aus dem Backofen.

Burano ist berühmt für sein Gebäck. Die Maddalena, aus deren Küche und Backstube unverfälschter venezianischer Dialekt schallt, läßt sich da nicht lumpen. Zum krönenden Abschluß wird eine Platte mit dotterfarbenen Teigkringeln auf der Tafel plaziert. Essi, die wegen ihrer S-artigen Form so heißen, zaeti, schlichtweg „Die Gelben“ genannt, kreisrunde bussolai oder mit Korinthen gespickte Spritzteigplätzchen, idealerweise in Süßwein getaucht.

Raucher sind seit 2005 aus Italiens Restaurants verbannt – manche sprechen von Berlusconis wohltätigstem Gesetz. Das ist auch in der Maddalena so. Allerdings gibt es ein winziges Schlupfloch. Denn seit Jahrzehnten ist die Trattoria-Bar auch Mazzorbos einzige Trafik. Das Salzmonopol der tabacchi ist ja verschwunden, aber man kann sich immer noch am Tresen nach dem Espresso ein pacchetto di sigarette kaufen – oder es lassen. Gepafft würde dann allerdings draußen, beim Spaziergang auf der Kanalpromande.

Alla Maddalena, 30142 Isola di Mazzorbo, Via Mazzorbo 7/B, Tel. 041 730151,   www.trattoriamaddalena.com