Cuisinier – rôtisseur – artiste – jardinier. Alain Passard hat die Perspektiven des Berufsbildes Starkoch gehörig erweitert. Als kulinarischer penseur betreibt er den gerade in Frankreich hochaktuellen Dialog mit zeitgenössischer Kunst und kuratiert für Museen Ausstellungen. Am Herd hat er erfolgreich Tabubrüche gewagt: In der Nation der Entrecôtes, Gänseleber und Andouillette fast ausschließlich auf Gemüse zu setzen, dieses Wagnis rang den Testern des Michelin die Höchstzahl von Drei Sternen ab – daß Monsieur Passard profimäßig ausgebildeter Fleischrôtisseur ist und deswegen die hohe Kunst, Saucen zu konzentrieren, aus dem Eff-Eff-beherrscht, mag dabei geholfen haben. Doch der gebürtige Bretone setzt noch eins drauf, holt die bäuerliche Authentizität seiner Heimat ins urbane Paris. Mittlerweile betreibt er drei Landgüter, auf denen er geschmacksintensive légumes oubliés, vergessene alte Gemüsesorten, für sein Restaurant züchtet und auf Wunsch auch in der Biokiste ausliefert.

Die Frage ist banal und doch naheliegend, wenn man im notorisch ausgebuchten Arpège in der Nähe des Musée Rodin einen der wenigen Mittagstische ergattert und zum Einstandspreis von 185 € das déjeuner des jardiniers probieren kann. Viel Geld für Gemüse, wird es, kann es eine angemessene Offenbarung werden?

Soviel vorweg: Das Arpège ist keins von den 3-Sterne-Lokalen, die bei der preisgünstigsten formule nur punktuell das Können des Kochs aufblitzen lassen und so klarmachen, daß es die große Oper nur abends oder à la carte gibt. Der Name ist Verpflichtung. Wie ein Arpeggio, ein Harfenakkord, in dem spielerisch verschiedenste Töne von den Saiten perlen, so präsentiert Alain Passard eine faszinierende Aromenvielfalt an Gemüsekreationen. Fast alle sind so einfach und pur, wie sich das nur souveräne Künstler, die zu Recht stolz auf ihre auserlesenen Produkte sind, leisten. Nach winzigen petits fours mit bunten Gemüsepasten, die die Auslage jeder Edelconfiserie zierten würden, werden schlicht vollendete Genüsse serviert wie der karamellisierte Hauch eines geschmorten Zwiebelgratins oder ein weichgekochtes Landei, frühlingshaft mit Schnittlauch, Sauerrahm und süßem Jerez-Essig angemacht. Als geschmacklich höchst befriedigend entpuppt sich ein witziges trompe-l’œil wie das mit Senf untermalte Rote-Beete-Sushi.

Ein genialer veganer Streich ist die Trilogie von hauchzarten Teigtaschen in einer unglaublich feinen würzigen Consommé, der Aromen von Sellerieblättern, Petersilwurzeln und Pastinaken entströmen. Große französische Hochküche sind die Füllungen der ravioles aus Navetten, Topinambur und Purpurkarotten, die duxelles-artig gewiegt bissfest gartenfrisch im Gaumen aufgehen. Die gesamte klassische Palette aromenintensivierender Schnitttechniken sowie das Prinzip, Gemüse in Agrumen-Emulsionen oder konzentrierten Gemüsefonds zu marinieren oder zu garen und dadurch den Eigengeschmack virtuos zu puffern, machen aus den Öko-Gartenfrüchten kulinarische Kunstwerke, ohne sie je abgeschmackt zu verkünsteln. Denn Monsieur Passard verblüfft sein Pariser Publikum auch schon mal mit bitterem Mangold und Kartoffelcreme, aufgeschlagen mit bretonischer Salzbutter, das ganze bäuerlich überbacken mit Buchweizenkörnern. Und wenn auch das selbstgezogene Gemüse der Star seiner Küche ist, so scheut er sich doch nicht, gelegentlich von der vegetarischen Linie abzuweichen. Eine Brunnenkressesuppe mit Specksahne oder am Morgen gefangene krause praire-Venusmuscheln, minimalistisch mit einem der allerersten heimischen Frühlingsspargel und jungem Knoblauch gereicht, erweisen, daß der Gemüsegott am Herd kein Dogmatiker ist.

Die überzeugende Weinbegeleitung, die auch einmal auf Leichteres, Gemüsefreundliches wie einen zarten Vin des Allobroges vom französischen Südufer des Genfer Sees setzt, stimmt einen ebenso gewogen wie das köstliche Maronendessert, das in seiner geschraubten Form an barocke Illustrationen des Turmbaus von Babel erinnert. Da nimmt man die 12 €, die das unbegleitete Tässchen Espresso zum Abschied kostet, einfach von der heiteren Seite.

Arpège, 84 Rue de Varenne, 75007 Paris, Tel. 0033 1 47050906, www.alain-passard.com